Als ich den Sir Lowrys Pass überquere und sich vor mir die majestätische Tiefebene ausbreitet, atme ich tief durch. Was für eine Aussicht! Mein Blick schweift über den Atlantik, ich blicke auf das verträumte Gordons Bay, sehe die wenigen Hochhäuser von Strand, die stolz in der Sonne emporragen, schaue die Küste entlang bis nach Kapstadt und darüber hinaus. Heute, nach mehr oder weniger fünf Tagen Dauerregen in George, gewährt mir die Sonne einen Urlaub für die Seele. Nur wenig später kommen links der N2 die ersten Hütten in Sicht und ich frage mich, ob die schon immer hier waren.
Natürlich waren sie immer da. Aber hier, jetzt schon, an diesem Ort, in dieser noch weiten Entfernung zu Kapstadt, der „Mother City“? Ich nehme mir vor, das später zu klären. Im Moment muss ich mich auf den Verkehr konzentrieren, der gerade stockt. In, oder neben einer dieser Hütten, ist offenbar ein Feuer ausgebrochen und grauer Rauch verdunkelt die Sicht. Emsige Menschen versuchen zu retten, was noch zu retten ist. Aber viel war vorher schon nicht da und wieder geht hier für eine Familie etwas mehr zu Bruch. Es ist schon kaum auszuhalten, dass Menschen so leben, noch schlimmer ist es zu wissen, dass selbst diese armseligen Bretter-und-Blech-Verschläge ihnen dennoch ein Stück Sicherheit und Heimat geben. Wenn es nicht gerade abbrennt.
Millionen von Menschen leben hier, die offiziellen Zahlen und die Dunkelziffern weichen grob voneinander ab. Aber wie soll auch einer dieses Wachstum dokumentieren? Die Quantität der Hütten wächst rasant, die Qualität schwankt zwischen „aus Stein gemauert“ bis „aus rostigem Blech und von Schnüren zusammengehalten“. Mir geht ein Ruck durch die Seele. Seit fast 20 Jahren komme ich jetzt sehr regelmäßig nach Südafrika, kenne unzählige dieser „nichtoffiziellen Wohngebiete“, wie sie hier oft genannt werden, und bin immer wieder auch in ihnen unterwegs, um Menschen zu besuchen, die zu Freunden geworden sind. Ich kann mich dennoch nicht dran gewöhnen und der Kontrast zwischen der unglaublichen Schönheit dieser Gegend und der abgrundtiefen Tristesse dieser Townships beschwert mein Herz. Aber ich habe gelernt, dass mein Mitleid nicht hilft, dass ich die Situation der Menschen hier nicht allein durch meine deutsche Brille betrachten und schon gar nicht bewerten darf. Ich muss auf sie zugehen, ihnen zuhören und sie „sehen“. Weggucken tut weder mir noch ihnen einen Gefallen. Also gehe ich wieder hin, schaue, höre und bete.
Als besondere kleine Freude habe ich zwei Mamas zum Mittagessen eingeladen. Sie reden schon seit Wochen von nichts anderem mehr. Sie, die alten schwarzen Frauen, mit mir, einem weißen Mann in der V&A Waterfront Kapstadts, in einem Restaurant, in dem sie sich von der Karte aussuchen dürfen, was sie essen möchten … ich ahne nur, was da in ihnen los ist. Nebenbei werde ich bei dieser Gelegenheit ein wenig Weihnachtsfreude weitergeben. Ich habe die beiden gebeten, mir jeweils drei Personen zu nennen, denen es nicht gut geht. Sie wissen nicht warum, und sie haben auch nicht gefragt. Aber sie werden jeweils eine kleine Tüte für diese Personen bekommen, in der nicht nur Schokolade ist. Eine Gruppe von Freunden in Deutschland hat auch diese Aktion möglich gemacht, in dem Sie mir einmal mehr vertrauensvoll ihre Spende mitgegeben haben. Wunderbare Menschen mit einem wunderschönen Anliegen. Und ich werde zum Erfüllungshelfer und der Armut wird für einen kleinen Moment die Gewalt genommen.
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